Wie erwartet hat die Europäische Zentralbank EZB am Donnerstag den Leitzins unverändert gelassen. Das sei aber nur ein Aufschub, legt sich die Mehrzahl der Analysten fest. Weitere Zinssenkungen der EZB und der amerikanischen Notenbank Fed seien nur eine Frage der Zeit. So erwarten Goldman Sachs und die Deutsche Bank Amerikas Leitzins demnächst bei 1,50 Prozent. Die EZB werde ebenfalls um 50 Basispunkte auf 2,75 Prozent reduzieren.
Die Märkte leuten die Zinswende ein
Nur noch eine Zinssenkung in Amerika erwartet / Analysten hinken mit Prognosen hinterher
ruh. FRANKFURT, 6. Dezember. Wie erwartet, hat die Europäische Zentralbank EZB am Donnerstag den Leitzins unverändert gelassen. Das sei aber nur ein Aufschub, legt sich die Mehrzahl der Analysten fest. Weitere Zinssenkungen der EZB und der amerikanischen Notenbank Fed seien nur eine Frage der Zeit. So erwarten Goldman Sachs und die Deutsche Bank Amerikas Leitzins demnächst bei 1,50 Prozent. Die EZB werde ebenfalls um 50 Basispunkte auf 2,75 Prozent reduzieren. Ähnlich äußern sich auch die Commerzbank und andere Institute, zumal die Inflationsraten rückläufig sind und den möglichen Zinssenkungen der Zentralbanken nicht im Wege stehen würden.
Doch die Terminsätze auf den Geldmärkten sprechen eine andere Sprache. Die Teilnehmer haben offenbar mit diesem Zinssenkungs-Zyklus abgeschlossen. So spiegelt sich im März-Terminkontrakt auf den Dreimonats-Euribor die Erwartung eines Zinsniveaus von 3,15 Prozent von März 2002 an wieder. Kontrakte mit späterer Fälligkeit signalisieren schon die Erwartung steigender Notenbankzinsen. Wird die auf dem Markt gehandelte Prognose erfüllt, würde der europäische Leitzins schon Ende kommenden Jahres über die Marke von 4 Prozent klettern, derzeit liegt er bei 3,25 Prozent.
Ähnlich ist das Bild in Amerika. Dort erwarten die Marktteilnehmer den Tiefpunkt des Zins-Zyklus im Februar 2002. Der dann fällige Terminkontrakt auf die Fed Fund Rates liegt derzeit bei 1,78 Prozent. Bei den Kontrakten, die später fällig werden, geht es deutlich nach oben. So signalisiert der Juli-Kontrakt die Erwartung eines Zinsniveaus von 2,37 Prozent. Derzeit liegt der Leitzins in Amerika bei 2,00 Prozent.
Ursache für den Stimmungsumschwung ist die Vermutung, daß die wirtschaftliche Entwicklung besser verlaufen könnte, als es bisher befürchtet worden war. Auftrieb erhielten die Optimisten zuletzt durch die Veröffentlichung des NAPM-Index, der die Stimmung der amerikanischen Einkaufsmanager widerspiegelt. Er war am Mittwoch unerwartet stark angestiegen. Daraufhin gewannen die Aktienmärkte deutlich an Boden, und gleichzeitig erlebten die Anleihemärkte in Amerika und Europa einen der größten Kurseinbrüche in diesem Jahr.
Der Bund-Future, Terminkontrakt für länger laufende deutsche Staatsanleihen, rutschte um fast 1,5 Prozentpunkte ab. Das entspricht in der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen einem Plus von gut 0,2 Prozentpunkten. Am Mittwoch setzte sich die Talfahrt der Rentenkurse fort, als der Bericht vom amerikanischen Arbeitsmarkt günstiger als befürchtet ausgefallen war. Das bestärkte die Hoffnung, daß Amerika einen kurzen Weg aus der Rezession finden wird.
"Der Konjunkturoptimismus ist verfrüht", warnen zwar Analysten der DZ Bank und mit ihnen die Marktbeobachter anderer Institute. Aber der Markt läßt sich derzeit von diesen Bedenken in seiner Erwartung einer frühen wirtschaftlichen Erholung nicht bremsen. Vor allem in Amerika rechnet man damit, daß sich das Konsumentenvertrauen erholt. Diese Spekulation spiegele sich derzeit in der Zinsstrukturkurve, argumentiert Ralf Welge, Analyst der Commerzbank.
In der Phase des größten Konjunkturpessimismus und schlechterer Stimmung unter den Verbrauchern hatte sich der Renditeabstand (Spread) zwischen Treasuries mit zwei und zehn Jahren auf fast zwei Prozentpunkte ausgeweitet. So drückte sich die Hoffnung auf weiter fallende Leitzinsen aus. Bei den jüngsten Kurseinbrüchen der Rentenmärkte hat sich dieser Spread auf gut 1,8 Prozentpunkte reduziert. Ein größerer Renditeabstand (Versteilerung der Kurve) habe in den vergangenen Monaten zuverlässig mit den Veränderungen des Verbrauchervertrauens korreliert. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Veröffentlichung des Stimmungsindikators der Universität Michigan zusätzliche Bedeutung, der am heutigen Freitag veröffentlicht wird. Analysten erwarten im Durchschnitt einen leichten Anstieg von 83,9 auf 84,5 Punkte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.12.2001, Nr. 285 / Seite 25